Das Kochbuch Oberes Erzgebirge.
Kulinarische Wanderung zwischen Greifensteinen und Fichtelberg
An der Entstehung dieses Kochbuches waren neben meiner Mutter, die mir als Köchin und Co-Autorin zur Seite stand, auch viele andere Menschen beteiligt, die sich auf die eine oder andere Weise dem Erzgebirge, seiner Landschaft, seiner Mundart und seiner Küche verbunden fühlen. Entstanden ist ein abwechslungsreiches Buch, das mit seinen vielfältigen Rezepten, unterhaltsamen Geschichten und großartigen Abbildungen nicht nur Hobbieköchinnen und -köchen, sondern allen Liebhabern des Erzgebirges Freude machen wird.
Meine Leistungen
Über ein Jahr hinweg sammelte ich Anregungen zu Geschichten, Rezepte und Fotos meiner Heimatregion. Ich verfasste die Texte, probierte die Gerichte, schrieb die Rezepte auf, sammelte die Fotos, ordnete ihnen Bildunterschriften zu und wies ihnen einen Platz im Buch an.
Leseprobe
Kein Schwibbogenfest ohne „Latschen“
Von Ralf Lissel aus Olbernhau
Am 1. Advent werden im Erzgebirge auf den Marktplätzen die großen Pyramiden angeschaltet. Stimmungsvoller, traditioneller und weihnachtlicher heißt die Aktion „Pyramide anschieben.“ Für viele Erzgebirger beginnt damit die Weihnachtszeit – zünftig bei Bratwurst und Glühwein versteht sich!
Unsere Hausgemeinschaft hat keine Pyramide, sondern zwei große Schwibbögen aus Metall. Auf das Fest zum 1. Advent müssen wir dennoch nicht verzichten, denn unsere Schwibbögen leuchten an diesem Abend zum ersten Mal. Deshalb feiern wir traditionell unser „Schwibbogenfest“ oder eben unser hausgemeinschaftliches „Schwibbogen-Anzünden.“
Die Vorbereitungen dafür beginnen bereits im Juni. Mitten im Sommer holen wir den Stollen aus dem Tiefkühlfach, braten Bratwürste, kochen Sauerkraut und Kartoffeln und treffen uns mit den Nachbarn zum „Halbjährigen Weihnachtsfest.“ Neben den Grog-Gläsern stehen an diesem Abend die Weihnachtspyramide und der Räuchermann auf dem Tisch und beim Räucherkerzenduft planen wir in kurzen Hosen das nächste „Schwibbogenfest.“
„Anschieben“ hin, „Anzünden“ her – eigentlich ist, sowohl im Sommer als auch im Winter, die Verpflegung bei dieser Geschichte das Wichtigste, denn auch für den Erzgebirger gilt: “Essen und Trinken hältLeib und Seele zusammen”.
Wen wundert’s, dass die Nachbarschaft beim „Schwibbogenfest“ jedes Jahr meine „Erzgebirgischen Latschen“ essen will!
Deshalb werden am Samstag vor dem 1. Advent in zwei oder drei Familien eifrig rohe Kartoffeln geschält und gerieben und auf unterschiedlichste Art für die Latschen vorbereitet. Bei den einen kommen Quark und Eier dazu, bei anderen darf Kümmel auf keinen Fall fehlen. Dieser Teig trocknet über Nacht am besten in einem Leinentuch aus, so dass er kaum noch Stärkewasser enthält.
Am frühen Abend des ersten Adventssonntages wird die große gusseiserne Pfanne vorbereitet und etwas Leinöl darin verteilt. Freilich kommt dafür nur echtes, aus dem Erzgebirge stammendes Leinöl aus der Dörnthaler Leinölmühle in Frage. Nun werden kleine runde Teigtaler geformt und diese Latschen in Öl ausgebacken. Am Rand knusprig braun, in der Mitte goldgelb, so kommen die Latschen mit Zucker und Apfelmus auf die Teller. Der unbeschreibliche Duft nach Öl und Kartoffeln lockt nicht nur Groß und Klein an, er bedeutet uns und der Nachbarschaft: Nu is su weit. Es is Advent!
Einzig die Person, die die Latschen bäckt, hat vom Gaumenschmaus nicht viel, denn die 10 kg Latschenteig sind bei 15 Personen mit gutem Appetit sehr schnell aufgegessen.
Fertigen Kartoffelpuffer- oder Kloßteig aus den Großmärkten zu nehmen, ist übrigens keine Alternative. Zum einen ist dieser Teig zu breiartig und zum anderen würde die Vorfreude fehlen, die beim Schälen und Reiben entsteht, weil jede Familie die größte Menge zur Verfügung stellen möchte. Und weil eben bei uns das Latschenvorbereiten, -backen und -essen zum Advent gehört, wie der Räucherkerzenduft und das „Schwibbogenfest“.