„Gelegentlich der Feindbesetzung Leipzigs wurde mein Betrieb geplündert.“
Kriegsende 1945 in der Schokoladenfabrik Wilhelm Felsche
in: Leipziger Blätter 56, Frühjahr 2010, S. 75-77
Die bekannten Schokoladenfabrikanten Felsche aus Leipzig nehmen mit ihrer Firma im 19. und 20. Jahrhundert einen rasanten Aufstieg. Dank modernster technischer Ausstattung wird das Unternehmen mit Wehrmachtslieferungen beauftragt, die ihm auch während des Krieges die Herstellung von Schokoladenprodukten ermöglichen. Mit dem Ende des Dritten Reiches erfüllt sich auch bald das Schicksal der Firma Felsche.
Eine ausführliche Beschreibung der Plünderungsereignisse in der Schokoladenfabrik fand ich im Stadtarchiv Leipzig. Erstaunlich, welche Vorräte an Rohstoffen und Fertigprodukten sich bei Kriegsende im Werk befanden. Mit welchen Mittel die LeipzigerInnen in den Besitz der lang entbehrten Köstlichkeiten gelangten, beschreibt der Artikel.
Leseprobe
Die Rückseite der Schokoladenfabrik Felsche war nach dem Bombardement im Februar schwer zerstört und nur notdürftig durch eine Einzäunung abgegrenzt worden. Vom Poetenweg aus war es also ein Leichtes, in das Gebäude einzudringen. Doch auch von der Menckestraße aus gelangten an diesem 19. April immer mehr Menschen in die Fabrik. Wie ein Lauffeuer schien sich die Kunde in der Stadt zu verbreiten, dass es bei Felsche lang entbehrte Süßigkeiten zu holen gäbe. Zeitweilig suchten mehr als 1.000 Plünderer gleichzeitig nach Verwertbarem. Die wenigen anwesenden Belegschaftsmitglieder und der Inhaber selbst waren gegen die Menge der Herandrängenden machtlos. „Bei der Masse der rabiaten Menschen, die zum Teil bedrohliche Haltung annahmen“, kann das nicht verwundern. Vertreter sämtlicher Bevölkerungsschichten kamen mit Eimern, kleinen Rollwagen, kleinen und großen Handwagen heran, drangen in die Fabrikräume vor, brachen verschlossene Türen auf und nahmen alles mit, dessen sie habhaft werden konnten. Zunächst bedienten sie sich an bereits verpackt bereitstehender Wehrmachtsware. Man kann sich die Freude vorstellen. Nach den langen Jahren der Enthaltsamkeit gab es endlich wieder Schokolade. Warum sollte man nicht auch die unverpackte Ware mitnehmen? Selbst für die halbfertige Ware und sogar für die Rohware fanden sich Abnehmer. Zucker, Trockenfrüchte, eingemachte Früchte und auch Öl füllten die Plünderer in mitgebrachte Behältnisse, und wenn die eigenen Gefäße nicht mehr ausreichten, bediente man sich eben an den gestanzten Mulden, an Schüsseln und Eimern, die in der Fabrik vorhanden waren. Doch, wozu erst umfüllen? Einfacher war es da schon, die Zuckersäcke im Ganzen auf den Wagen zu laden und mitzunehmen. Aus beschädigten Säcken rieselte der Zucker zu Boden, derartig beschmutzt nützte er weder den Plünderern noch der Schokoladenfabrikation. Erst als die Dämmerung einsetzte, machten sich die Letzten mit Handwagen und Taschen davon.